Vis à vis - Norbert Mappes-Niediek: Aus Balkankriegen nichts gelernt?
Das Wort "Zeitenwende" hat mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine in diesem Jahr eine neue Bedeutung gewonnen. Der Balkan-Kenner Norbert Mappes-Niediek untersucht in einem Buch die Zeit vor 30 Jahren, als es ebenfalls Krieg in Europa gab - um das zerfallene Jugoslawien. Stephan Ozsváth hat mit Mappes-Niediek gesprochen.
Der Konflikt auf dem Balkan habe etwas damit zu tun gehabt, wie das damalige Jugoslawien organisiert gewesen sei. Man habe sehr bewusst die ethnischen Identitäten gepflegt und etwa Posten und Ressourcen nach ethnischer Zugehörigkeit verteilt. "Die Konkurrenzsituation war immer da – und die hat sich gesteigert." Während der Wirtschaftskrise in den 1980er Jahren habe sich das zu einer brisanten Mischung entwickelt.
Ein unipolares Zeitalter, das gerade endet
"Das Jahr 1990 war das optimistischste Jahre, das ich mir überhaupt vorstellen kann." Überall seien die kommunistischen Staaten und andere diktatorische Regime zu Ende gegangen. Es sei die Rede gewesen von einer neuen Weltordnung, in der nicht die Macht, sondern das Recht regiert.
In Jugoslawien hätten die Vereinten Nationen aber versagt. "Und aus diesem Versagen hat dann die amerikanische Politik […] die Konsequenz gezogen, dass man die Ordnung in der Welt nicht den Vereinten Nationen überlassen kann, sondern dass die Vereinigten Staaten das zu tun haben." Damit habe ein unipolares Zeitalter begonnen, unter anderem mit dem Angriff auf den Irak und vielen weiteren Interventionen der USA. Dieses Zeitalter habe 20 Jahre lang angehalten und gerade würden wir dessen Ende erleben.