100 Sekunden Leben - Der Trend zum Einhändigen
Unser Kolumnist Thomas Hollmann war kürzlich im Supermarkt. Dort ist ihm ein Phänomen aufgefallen, dass sich zu einem neuen, bedenklichen Trend ausweiten könnte.
Beim ersten Mal dachte ich: Wie traurig, dass die Frau einen gelähmten Arm hat. Total apathisch baumelte der an ihr herab, während der andere Arm und die andere Hand damit beschäftigt waren, den Einkauf auf das Band zu legen. Die Butter, die Milch, die Kekse, die Zwiebeln, die Bananen, die Tomaten, die Marmelade, das Müsli, den Glasreiniger, den Joghurt,- all das legte die Frau einzeln und einhändig auf das Band. Weil die andere Hand nicht funktionsfähig war, wie ich glaubte. Aber das stimmte gar nicht. Denn als der Einkaufswagen endlich entleert war, erwachte die vermeintlich gelähmte Hand zum Leben und schob - zusammen mit der anderen - den Wagen hinter die Kasse, um daraufhin wieder ins Koma zu fallen und das Abräumen der Schwesterhand zu überlassen. Was dauerte.
Und auch beim nächsten Mal dauerte das, als eine andere Frau das Prinzip der Einhändigkeit praktizierte. Dass ich schon dachte, das ist ein Geschlechter-Ding. Bis ich hinter einem einhändigen Mann stand, der sich jedoch weigerte, die überflüssige Hand bei Ebay zu versteigern.
Vielleicht ist der Trend zum Einhändigen ja eine evolutionäre Anpassung. Halten wir mit einer Hand doch üblicherweise das Handy fest. Deswegen heißt das Handy ja so. Und womöglich schreiben wir die Handy-Hand dann gedanklich ab, auch wenn die gar kein Handy zu halten hat.
Vielleicht verliert unserer Gesellschaft aber auch das Zupackende. Was spätestens dann problematisch wird, wenn Bäcker und Maurer die Mode nachmachen. Dürften einhändig gefertigte Brötchen und Häuser doch ziemlich anders aussehen. Beziehungsweise: einstürzen.
Und wer sagt denn, dass nicht andere Extremitäten von der Vereinzelung befallen werden? Und darauf hätte ich nun wirklich keine Lust, zusammen mit lauter Flamingos auf den Bus zu warten.