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100 Sekunden Leben - Der Schlüssel zum Aufzugs-Glück

Wenn Altbau-Wohnhäuser saniert werden, bekommen sie oft einen Aufzug. Aber wer darf den eigentlich benutzen – und wer nicht? Kolumnistin Doris Anselm hat bei einem Besuch den Kürzeren gezogen im Fahrstuhl-Monopoly. Amüsant war’s trotzdem.

Immobilienschnösel reden gern von "repräsentativen" Wohnungen. Das Wohnhaus meiner Freundin Julia wurde grad auch so "repräsentativ" saniert. Das hat mich dazu gebracht, meine Rolle als Besucherin zu überdenken. Denn per Definition repräsentiert man ja nicht für sich selbst, sondern für den Besuch. Dem will ich mich würdig erweisen und nehme jetzt immer Haltung an, bevor ich Julias veredelten Hausflur betrete.

Neulich war der Aufzug fertig. Und obwohl die Treppen in den fünften Stock eigentlich eine zentrale Rolle spielen in meiner Fitness-Routine, wollte ich meiner Freundin eine Freude machen und diesmal repräsentativ mit dem Aufzug ankommen. Ich drückte den Knopf, beinah lautlos glitt die Tür auf, ich betrat die verglaste und schön beleuchtete Kabine und wählte mein Lieblingsstockwerk. Nichts geschah. Oder doch. Auf dem Display blinkte mir pampig das Wort "Freigabe!" entgegen, und nun sah ich, dass neben jedem Stockwerksknopf ein Schlüsselloch eingelassen war. Ich nahm die Treppe.

Der Aufzug hat unseren Abend trotzdem bereichert. Lauter amüsante Fragen: Wenn der Besuch, also ich, doch gerade Zielgruppe des „Repräsentierens“ ist, warum darf er, also ich, dann nicht alleine Fahrstuhl fahren? Aus Vandalismus-Angst? Aber warum darf ich den Aufzug dann betreten? Vielleicht soll ich ihn ja nur mal gesehen haben, wie ein teures Kunstwerk? Warum gibt’s mehrere Schlüssellöcher? Kann man mit dem Schlüssel des dritten Stocks eventuell nicht in den fünften fahren? Und was ist, wenn im zweiten jemand zusteigen will? Möglicherweise hätte Julia mir den Aufzug schicken können, sagte sie. Soll das so wirken, als ob man mit der Limousine abgeholt wird? Wirkt eher so, als ob einem der Schließer den Weg durch den Knast bahnt. All das fanden wir sehr wenig repräsentativ.